12/2021 "Besser den Spatz in der Hand…" – Vögel und biologische Vielfalt in Städten und Gemeinden

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Foto: Kevin Woblick on Unsplash

"Jede Art zählt – ob groß, ob klein."

Gerhard Haszprunar, Münchner Zoologie-Professor, März 2019

 

 

"Besser den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach" – aber was war eigentlich nochmal ein Spatz? Wer sich an einen Besuch in einem Münchner Biergarten vor fünfzehn oder zwanzig Jahren erinnert, dem könnte inzwischen aufgefallen sein: Die kleinen fröhlich-frechen Vögel, die die Brezenkrümel von der Bierbank stibitzen, sie sind gar nicht mehr da, weder an der Isar noch im Englischen Garten. Dass die Spatzen oder Haussperlinge (Passer domesticus) in einigen Städten unter Druck gekommen sind und zunehmend verschwinden, ist leider eines von vielen Beispielen für den dramatischen Rückgang der Artenvielfalt. In Deutschland sind ein Drittel aller Wildpflanzenarten und auch ein Drittel der Säugetierarten gefährdet. Bei den Insekten existieren heute bereits knapp ein Drittel weniger Arten als noch vor 30 Jahren. Vor allem aber gibt es insgesamt viel weniger Insekten. Die intensive und durchorganisierte Nutzung der Flächen innerhalb und außerhalb der Siedlungsräume bietet kaum noch ungenutzte Bereiche und Nischen. Diese stellen jedoch wichtige Lebensräume für heimische Pflanzen, Insekten und Tiere dar. In landwirtschaftlich genutzten Bereichen ist zudem der Einsatz von Pestiziden verantwortlich für das Fehlen von Insekten und Vögeln. Der Klimawandel, veränderte Temperaturen und häufige Trockenheit werden künftig zu weiterem Druck auf die Lebensräume und die Arten führen!

Biologische Vielfalt und Stadtnatur

Städte und Gemeinden spielen eine wichtige Rolle beim Erhalt der biologischen Vielfalt. Für viele heimische Pflanzen- und Tierarten stellen sie einen wichtigen Lebensraum und Zufluchtsort dar. Der Rückgang der Vögel in den Städten ist Indikator für den Zustand der und die Leistungsfähigkeit der städtischen Ökosysteme. Vögel sind auf ein diversifiziertes Angebot aus Pflanzen und Insekten angewiesen, das Ihnen Nahrung, Nist- und Unterschlupfmöglichkeiten bietet. Doch auch für den Menschen ist die Stadtnatur und ihr Zustand von großer Bedeutung. Die Ökosysteme in unseren Städten stellen kostenlos zahlreiche "Dienstleistungen" zur Verfügung. Grünflächen, Gehölzbestände und Bäume produzieren Sauerstoff, regulieren Temperaturen, halten Wasser bei Starkregen zurück, verringern Schallreflexionen und binden schädlichen Feinstaub aus der Luft. Zahlreiche Studien belegen, dass Bäume und Grünräume positive Auswirkungen auf das menschliche Immunsystem und auf die Gesundheit haben. Genauso interessant ist der Blick auf die Vögel: Städte in Europa, die sich durch eine hohe Anzahl unterschiedlicher Vogelarten auszeichnen, gehören gleichzeitig zu denen, in denen die Lebenszufriedenheit der Einwohner am höchsten ist, wie eine wissenschaftliche Studie herausfand [1]. Weitere Untersuchungen aus England deuten darauf hin, dass das Beobachten und Erleben von Vögeln im täglichen Umfeld positiv auf die Zufriedenheit und die psychische Gesundheit wirken [2]. Eine starke Stadtnatur sollte uns allen also viel wert sein. Das Bayerische Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz unterstützt hierzu die Forschungen der TU München mit dem eigens eingerichteten Zentrum Stadtnatur und Klimaanpassung (ZSK) [3]. Auch zahlreiche Kommunen engagieren sich, beispielsweise in dem Bündnis "Kommunen für biologische Vielfalt", das inzwischen über 300 Mitglieder zählt [4]. Oft ist die Erstellung einer kommunalen Biodiversitätsstrategie ein erster Schritt, systematisch aktiv zu werden. Das Bundesumweltministerium fördert die Erstellung sowie beispielhafte Maßnahmen mit dem Bundesprogramm Biologische Vielfalt und dem Förderschwerpunkt "Stadtnatur" [5]. Die Städte Landshut, Ingolstadt und Augsburg sowie die Gemeinde Vaterstetten zählen mit zu den ersten Kommunen in Bayern, die solche Konzepte erarbeitet haben und umsetzen.

Animal Aided Design

Einen weiteren Ansatz, komplementär zu einer gesamtstädtischen Biodiversitätsstrategie, bietet "Animal Aided Design" [6]: Die Methode verfolgt das Ziel, die Lebensraumansprüche von Tieren von Anfang an in die Gestaltung und Planung städtischer Räume und Siedlungen zu integrieren. Bei der Anlage von Wohnsiedlungen, der Umgestaltung von Innenhöfen und Außenanlagen oder bei der Gebäudesanierung soll es so künftig nicht mehr dem Zufall überlassen werden, ob sich Tiere ansiedeln. Die Ansprüche der verschiedenen Arten sollen von vorneherein mitgedacht werden und dabei die räumliche Gestaltung inspirieren und bereichern. Damit unterscheidet sich der Ansatz von einem lange Zeit praktizierten Artenschutz, dem es vornehmlich darum ging, negative Eingriffe zu verhindern, abzumildern oder auszugleichen. Heute ist es vielmehr erforderlich, aktiv zur Entwicklung und Erweiterung der Lebensräume für die Arten beizutragen.

Spatzen benötigen beispielsweise Unterschlupf- und Nistmöglichkeiten am Gebäude sowie im direkten Umfeld dichte Gebüsche als Schutz- und Ruheplätze. Sie sind angewiesen auf ein breites Angebot an Sträuchern, Pflanzen und Insekten zur Nahrungsversorgung sowie auf offene Kiesflächen und Pfützen, die sie für Ihre Gefiederpflege benötigen. Durch den Nutzungsdruck und die innerstädtische Nachverdichtung wurden in München viele dieser Lebensräume überbaut und umgestaltet. In einigen Projekten wird versucht, dem entgegenzuwirken, etwa beim Neubau einer Wohnanlage der städtischen Wohnungsbaugesellschaft GEWOFAG [7]. Hier wurde unter Beteiligung der Experten für "Animal Aided Design", Prof. Dr. Weisser und Prof. Dr. Hauck ein Überwinterungsquartier für Igel errichtet und Bruthöhlen für Spechte geschaffen. Für die Spatzen gibt es in die Fassade integrierte Brut- und Nisthöhlen – inzwischen ein bautechnisch etabliertes Standardprodukt und von außen nur als kleine Öffnungen zu erkennen. Zusammen mit dem Erhalt von Gehölzen und Bäumen und den begrünten Dachflächen sollen die Spatzen so künftig hier leben können. Auch in der ökologischen Mustersiedlung im Prinz Eugen Park in München wurden Nisthöhlen in die Gebäudefassade integriert und sogenannte Biodiversitätsdächer geschaffen. Es gibt außerdem Holzstämme für Insekten, offene Sandflächen und auch Bereiche, in denen nach Niederschlägen Pfützen entstehen, die die Spatzen nutzen können.

Die vielfältigen und kreativen Lösungen zeigen, dass sich auch einzelne Eigentümerinnen und Eigentümer für mehr Stadtnatur aktiv einsetzen können. Erneuerungs- oder Sanierungsmaßnahmen lassen sich so gestalten, dass heimische Pflanzen, Tiere und Insektenarten dort innerstädtische Lebensräume vorfinden. Eine praxisnahe Orientierungshilfe für die Berücksichtigung des Artenschutzes am Gebäude bietet auch der "Werkzeugkasten Artenvielfalt an öffentlichen Gebäuden" des Bayerischen Staatsministeriums Wohnen, Bau und Verkehr [8].

Suche nach dem Spatz

Wer nun Lust bekommen hat, sich mit den Vögeln in der Stadt zu beschäftigen, kann sich die App "BirdNET" aufs Smartphone laden. Damit lassen sich jederzeit Vogelstimmen aufnehmen. Ein speziell dafür trainierter Algorithmus wertet in Sekunden aus, um welche Vogelart es sich handelt. Die Daten werden bei der TU Chemnitz gesammelt und sollen in Zukunft wertvolle Erkenntnisse für die Forschung liefern. Mal sehen, wann das erste Mal ein Spatz zu hören ist?

Autor: Markus Weinig

Weiterführende Links

[1] Studie "The importance of species diversity for human well-being in Europe"
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[2] Süddeutsche Zeitung (2019): Vögel bringen Glück
Link

[3] Forschung zur Stadtnatur und Klimaanpassung, Bayerisches Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz
Link

[4] Bündnis "Kommunen für biologische Vielfalt"
Link

[5] Informationen zum Bundesprogramm Vielfalt
Link

[6] Broschüre zu Animal Aided Design, Bundesamt für Naturschutz
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[7] Video zu Animal Aided Design, München TV
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[8] Werkzeugkasten Artenvielfalt an öffentlichen Gebäuden des Bayerischen Staatsministeriums Wohnen, Bau und Verkehr
Link

 [Die Links wurden zuletzt geprüft am 30.11.2021]

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1 Kommentare

Theresa Edelmann

14. Dezember 2021

Wir sollten uns hüten, die „Dienstleistungen“ der Ökosysteme in unseren Städten als „kostenlos“ darzustellen: all die positiven Wirkungen, die der Beitrag aufzählt, können nur zustande kommen, wenn bereits im Zuge der Quartiersplanung ausreichend Platz für insbesondere Bäume bereitgestellt wird. Es wird zunehmend schwieriger durch vermehrte Wetterextreme und (Rück)strahlungsbelastung, eine Lebenserwartung der Stadtbäume von mindestens 50 Jahren sicherzustellen. Noch zehren wir in vielen Städten von den Gehölzvolumina des 20. Jahrhunderts. Die Mindestanforderungen an Baumstandorte wurden von der FLL vor längerer Zeit definiert; jeder zusätzliche Kubikmeter durchwurzelbarer Raum ist kostbar: Stadtplaner, Architekten und Landschaftsarchitekten können nur gemeinsam erfolgreich in diese unsichtbaren Räume investieren.