11/2022 Nachhaltigkeit – Quo vadis? Europäische Rahmenbedingungen und deren Auswirkungen für Architekturschaffende
Klimaschutz
"Was Du tust, macht einen Unterschied, und Du musst entscheiden, welche Art von Unterschied Du machen möchtest."
Jane Goodall
Während in Planung und Berufspolitik aktuell vor allem Themen wie Kreislaufgerechtigkeit und Bauen im Bestand diskutiert werden, ist in der allgemeinen Diskussion der Begriff "Nachhaltigkeit" in aller Munde, oft im Zusammenhang mit der EU-Taxonomie und der Finanzbranche. Doch welche Auswirkungen haben die EU-Direktiven künftig für Architekturbüros?
SDG, ESG, KSG, CSR, GRI, DNK etc.
Der Abkürzungsdschungel in der Welt der Nachhaltigkeit wurde in den letzten Jahren durch viele relevante Kürzel erweitert, oft im Zusammenhang mit Berichtsstandards zur Erfassung und Darstellung von Merkmalen einer gesellschaftsgerechten und zukunftsgerichteten Betriebsführung. Eine weltweite Basis bilden die 17 globalen Ziele für eine nachhaltige Entwicklung, die sogenannten Sustainable Development Goals (SDGs), auf die sich die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen im Rahmen der Agenda 2030 geeinigt haben.
2019 wurde der European Green Deal unterzeichnet, in dem sich die Länder zu einer Klimaneutralität der EU bis 2050 verpflichtet haben. Die deutsche Umsetzung, das Klimaschutzgesetz, sieht noch stärkere CO2-Minderungen vor: Deutschland will bis 2045 klimaneutral werden. Ein Baustein ist dabei der EU-Aktionsplan zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums: Kapitalströme sollen in nachhaltige Investitionen gelenkt und Nachhaltigkeit in das Risikomanagement einbezogen werden. Seit 2017 gilt das Corporate Social Responsibility-Richtlinie-Umsetzungsgesetz (CSR-RUG), nach dem große Unternehmen, Kreditinstitute und Versicherungen in Form von Berichten offenlegen müssen, ob ihre Unternehmensführung und Investments "nachhaltig" sind. Im Juni 2022 wurde eine Anpassung der CSR-RUG verabschiedet – die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD). Ab 2026 sind dann Unternehmen berichtspflichtig, die zwei der drei folgenden Merkmale erfüllen: Sie weisen eine Bilanzsumme von mehr als 20 Mio. Euro aus, erzeugen einen Netto-Umsatz von mehr als 40 Mio. Euro oder haben mehr als 250 Mitarbeitende. Deutschlandweit treffen diese Kritierien auf ca. 15.000 Unternehmen zu.
Sind Planungsbüros betroffen?
Architekturbüros werden diese Grenze nur selten überschreiten und Auskunft über den eigenen sozialen und ökologischen Fußabdruck geben müssen. Es gibt dennoch sehr gute Gründe, eine Nachhaltigkeitsberichterstattung intern vorzubereiten:
- Der Berufsstand übernimmt soziale Verantwortung:
Architekten gestalten nachhaltige Räume und setzen sich mit umwelt-, sozial- und generationengerechten Städten sowie zukunftsweisenden Gebäuden auseinander. Daher ist es konsequent, die eigenen Werte im Kontext der Unternehmensführung nicht nur zu dokumentieren, sondern auch transparent zu präsentieren. - Ihre Attraktivität als Arbeitgebender wächst:
Eine Befragung durch Competitionline im Frühjahr 2022 ergab, dass 88 % des Architekturnachwuchses dem Einsatz ihres Büro für ökologisches und klimaneutrales Bauen ein hohe Bedeutung zumessen. - Auch Sie sind Teil einer Lieferkette:
Banken fragen bei der Kreditvergabe vermehrt auch die Werte ihrer Kreditnehmer, Investoren, Projektentwickler ab und diese werden dann nach Antworten bei ihren Vertragspartnern und den am Bau Beteiligten suchen.
Wie erarbeite ich eine Nachhaltigkeitsstrategie?
Es gibt unterschiedliche Ansätze und Hilfsmittel, um eine Nachhaltigkeitsstrategie zu formulieren und im eigenen Unternehmen zu verankern. Neben Umweltmanagementsystemen (ISO 4001, EMAS) haben sich als Grundlage für einen Nachhaltigkeitsbericht der internationale Standard Global Reporting Initiative (GRI), der Deutsche Nachhaltigkeitskodex (DNK) und die Gemeinwohlökonomie (GWÖ) etabliert. Sie alle betrachten soziale wie umweltbezogene Kennwerte. Der DNK wurde speziell für deutsche Unternehmen entwickelt, bezieht Teile des GRI ein und steht kostenfrei (inkl. einer Checkliste) zur Verfügung. Die GMÖ, herausgegeben von Christian Felber, ist stärker ethisch orientiert. Das Manuskript setzt das "Wohl von Mensch und Umwelt" als oberstes Ziel des Wirtschaftens. Dieses ebenfalls kostenfrei verfügbare und etwas anspruchsvolleren Berichtsformat bewertet die Bemühungen nachhaltigen Wirtschaftens in einer Punkteskala, sodass Ergebnisse vergleichbar werden.
Allen Formaten gleich ist die Beschreibung des Unternehmens, die Ermittlung des Status Quo und die Entwicklung einer Nachhaltigkeitsstrategie auf Basis einer Wesentlichkeitsanalyse.
Wie starten?
In kleinen Schritten: Wo stehe ich? Wo steht mein Büro jetzt und wie möchte ich in 2030 aufgestellt sein? Vielleicht klimaneutral wie die Bayerische Architektenkammer? Streben Sie eine bessere Work-Life-Balance für alle Mitarbeitenden an? Oder effizientere Prozesse durch Weiterbildung und Digitalisierung? Möchten Sie in den Projekten Ihres Büros den Anteil ökologischer und gesunder Baumaterialien erhöhen? Oder Variantenvergleiche im Bereich der Ökobilanz etablieren?
Erfassen Sie Ihren Status Quo und setzen Sie sich Ziele. Planen Sie Maßnahmen und überprüfen deren Wirksamkeit. Lernen Sie aus jedem Zyklus, passen Sie Ihre Ziele an und starten in die nächste Runde!
Abkürzungstabelle
Agenda 2030 | In der Agenda 2030 werden 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) definiert, die die Vereinten Nationen (UN) | |
SDG | Sustainable Developement Goals (dt. Ziele für nachhaltige Entwicklung) | In der Agenda 2030 werden 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) definiert, die die Vereinten Nationen (UN) gemeinsam verabschiedet haben. Diese sollen weltweit der Sicherung einer nachhaltigen Entwicklung auf ökonomischer, sozialer sowie ökologischer Ebene dienen. |
CSR | Corporate Social Responsibility | Eine Unternehmensstrategie, die die drei Säulen der Nachhaltigkeit berücksichtigt – das sind soziale, ökologische und ökonomische Aspekte. Hierbei werden qualitative Aussagen und Vorgaben vorangestellt, dem Prinzip "doing good" bzw. "avoid bad" folgend. Der Fokus liegt auf den inhaltlichen Grundsätzen. |
ESG | Environment, Social, Governance | Belange des Umweltschutzes (environment), soziale Themen (Social) und Aspekte der Unternehmensführung (Governance) werden als nichtfinanziellen Faktoren in Unternehmen berücksichtigt und berichtet. Die Bemühungen einer CSR-Strategie im Unternehmen werden durch ESG-Kriterien oder Leistungskennzahlen mess- und bewertbar [1] |
EMAS | Eco-Management and Audit Scheme | Das Eco-Management and Audit Scheme (EMAS) wurde von der Europäischen Union entwickelt und ist ein Gemeinschaftssystem aus Umweltmanagement und Umweltbetriebsprüfung für Organisationen, die ihre Umweltleistung verbessern wollen. [2] |
ISO 14001 | internationale Umweltmanagementnorm | Die internationale Norm legt Anforderungen an ein Umweltmanagementsystem fest, mit dem eine Organisation ihre Umweltleistung verbessern, rechtliche und sonstige Verpflichtungen erfüllen und Umweltziele erreichen kann. Die zentralen Elemente der ISO 14001 sind [3]:
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DNK | Deutscher Nachhaltigkeitskodex | Der DNK unterstützt den Aufbau einer Nachhaltigkeitsstrategie und bietet einen Einstieg in die Nachhaltigkeitsberichterstattung. Durch die Bearbeitung der 20 Kriterien des DNK, die auf dessen Homepage anhand von Best Practice Beispiele verdeutlicht werden, entsteht ein vollständiger Nachhaltigkeitsbericht, der die gesetzlichen Berichtspflichten umfasst. [4] |
GWÖ | Gemeinwohl-Ökonomie | Die Gemeinwohl-Ökonomie etabliert ein ethisches Wirtschaftsmodell, das das Wohl von Mensch und Umwelt zum obersten Ziel des Wirtschaftens erhebt. Neben dem ideologischen Konzept ist ein Berichtsstandard definiert, der neben den textlichen Darstellungen die Nachhaltigkeitsbemühungen der Unternehmen durch ein Punktesystem vergleichbar macht. [5] |
GRI | Global Reporting Initiative | Die Global Reporting Initiative entwickelt seit 25 Jahren Richtlinien und Standards für die Erstellung von Nachhaltigkeitsberichten. Ausgewählte Kriterien dieses Standards sind im Deutschen Nachhaltigkeitskodex implementiert, sodass in der Regel der DNK internationalen Anforderungen an einen Nachhaltigkeitsbericht genügt. |
KSG | Klimaschutzgesetz | Die Europäische Kommission kündigte am 11. Dezember 2019 an, im Rahmen des European Green Deal bis März 2020 den Entwurf eines Europäischen Klimagesetzes zur rechtlichen Verankerung des Ziels der Klimaneutralität bis 2050 vorzulegen. [6] In Deutschland wurden die Anforderungen verschärft und das Gesetz sieht in der nationalen Umsetzung vor, dass Deutschland bis zum Jahr 2045 klimaneutral wird. |
CSR-RUG | CSR-Richtlinien-Umsetzungsgesetz | Deutsche Umsetzung der europäischen Vorgabe zur nichtfinanziellen Berichtserstattung. Das Gesetz betrifft kapitalmarktorientierte Unternehmen, Finanzinstitute und Versicherungen mit mehr als 500 Mitarbeitenden. Der CSR-Bericht muss folgende Themen beinhalten: Konzepte, Ergebnisse, Risiken und wesentliche Leistungsindikatoren zu Umwelt-, Arbeitnehmer- und Sozialbelangen, zur Achtung der Menschenrechte und zur Bekämpfung von Korruption und Bestechung. |
CSRD | Corporate Sustainability Reporting Directive | Überarbeitung der nichtfinanziellen Berichtspflichten auf europäischer Ebene. Umsetzung in Deutschland erfolgt voraussichtlich in einer Aktualisierung des CSR-RUG. Die Berichtspflichten werden ausgeweitet, d.h. im Rahmen der CSR-RUG sind ca. 500 Unternehmen in Deutschland berichtspflichtig, mit der CSRD werden ca. 15.000 Unternehmen verpflichtet, ab dem Jahr 2026 über das Jahr 2025 zu berichten. |
GHG Protocol | Greenhouse Gas Protocol | Das GHG Protocol, übersetzt Treibhausgasprotokoll, ist eine private international angewandte Standardreihe zur Bilanzierung von Treibhausgasemissionen, bzw. der CO2 Bilanzierung. In dem Standard werden Emissionen drei Bereichen (Scopes) zugeordnet. Die CO2-Bilanz der ByAK wurde nach den Regeln des GHG Protocols ermittelt. |
Autorinnen: Loni Siegmund, Kathrin Albrecht