01.10.2024

10/2024 Nachhaltige und kreislaufgerechte Innenarchitektur

Klimaschutz

Foto: Theresa Jäger

"Die beste Art, Probleme zu lösen, ist, sie gar nicht erst entstehen zu lassen."

Albert Einstein

Bei nachhaltigem Bauen denken viele an Materialien wie Lehm oder Holz sowie an Photovoltaikanlagen oder Wärmepumpen. Im Innenausbau hingegen dominieren oft Trends und Designermöbel. Doch auch hier sind Ansätze notwendig, um CO2 zu sparen, etwa durch die Wiederverwendung vorhandener Bauteile und Möbel.

"Müll ist grundsätzlich ein Designfehler!"

Sagt Sven Urselmann. Der Tischler und Gründer von Urselmann Interior arbeitet am Ziel der Null-Emissionen und fordert die Zeitenwende im Innenausbau. Planer müssen Haltung einnehmen und Überzeugungsarbeit leisten. Dass dies einige Hürden mit sich bringt, versteht sich von selbst. Annette Brunner, Innenarchitektin und Vorstandsmitglied der bayerischen Architektenkammer sagt, dass wir Werte wieder vorleben müssen. Wertschätzung von Materialien und das Ziel der Langlebigkeit des Gebauten muss erneut in den Mittelpunkt gerückt werden. Ebenfalls wäre es wünschenswert, wenn die Bedürfnisse der Nutzer wieder als zentrales Element der Planung verstanden würden anstelle von aufwendigen technischen Lösungen, welche am Ende oft gar nicht die gewünschten Effekte erzielen.

Wertschätzung vorleben

Prof. Mikala Holme Samsøe von der Technischen Hochschule Augsburg schreibt: "Wenn man [gebrauchte] Bauteile verkauft, knüpft man als EigentürmerIn neue menschliche Beziehungen und lässt einen respektvoll darüber nachdenken, welchen Wert die Materialien haben, und was besonders wertvoll ist". Neben der Hürde der Vermittlung dieser Herangehensweise gibt es aber auch praktische Probleme, welche PlanerInnen überwinden müssen. Zunächst müssen gebrauchte Bauteile, Möbel und Materialien aufgenommen, bewertet und für die weitere Nutzung aufbereitet werden. Beim Abriss der alten Stadtbibliothek in Augsburg konnte Prof. Mikala Holme Samsøe dies zusammen mit Studierenden tun und veröffentliche die gesammelten Erfahrungen in der Publikation "Architektur. Im Kreis".

Beschädigte, nicht mehr neuwertige Bauteile und Materialien benötigen eine kreative Wiederverwendung. Neben den ästhetischen Beeinträchtigungen liegen eventuell auch funktionale Einschränkungen vor in Sachen Sicherheit, Statik und Brandschutz. Hier müssen Lösungen oft aufwendig (Bsp. Zustimmung im Einzelfall) erarbeitet werden. Digitalisierung und standardisierte Erfassung gebrauchter Bauteile soll hier Abhilfe schaffen. Die Experten bei Concular GmbH arbeiten bereits an Lösungen.

Haltung zeigen

Innenarchitektinnen und Planer sollten natürliche, nachhaltige und gesunde Materialien verwenden. Wir alle wollen in gesunden Häusern wohnen und gesunde Luft einatmen. Umso erstaunlicher ist es, dass wir uns mit Produkten und Materialien umgeben, die voll von Chemikalien und Stoffen sind, welche für Umwelt und Mensch schädlich sein können. Hochwertige und langlebige "Klassiker" sind Trends vorzuziehen. Was auf den ersten Blick finanziell unsinnig erscheint, kann auf lange Sicht von Vorteil sein. Wer kurzfristig denkt, verpasst Chancen. Nach dem Hausbau sind die Geldbeutel leer und das Besorgen günstiger Möbel erscheint als die naheliegende Lösung. Doch sind die Baumarktstühle in zehn Jahren noch nutzbar oder ansehnlich? Ein Rückgriff auf manchmal zwar teurere, aber umso langlebigere Produkte kann das schnelle Austauschen und Wegwerfen und damit auch "zweimal-Bezahlen" vermeiden. Zeitlose Klassiker sind auch nach Jahrzehnten noch ansehnlich oder werden gar zu wertvollen Einzelstücken.

Verwendung gebrauchter Materialien und deren Ausbesserung

Zwar ist die Entscheidungsfreiheit von Beginn an etwas eingeschränkt, da man nicht auf alle beliebigen Materialien Zugriff hat, sondern mit dem Vorhandenen arbeiten muss. Es bedarf etwas mehr Kreativität und lösungsorientiertes Denken, aber die dabei entstehenden Ideen können spannender und individueller sein. Während die Verfügbarkeit und Verwendung gebrauchter Materialien für Architekten im Hochbau noch Schwierigkeiten bereithält, ist diese für Innenarchitekten oft viel einfacher umsetzbar. Es gibt Bauteilbörsen und ähnliche Organisationen, die hier Lösungen bieten, wie etwa Concular in Berlin oder die Bauteilbörse in Basel. Sie beschäftigen sogenannte Bauteiljäger, die sich auf die Suche nach verwertbaren Bauteilen machen und sich auch um die notwendige Logistik kümmern. Eine Pionierarbeit, welche in Zukunft hoffentlich Standard wird. InnenarchitektInnen können auf diese Infrastrukturen zugreifen. Für ihr Projekt Impact Hub griff das Berliner Büro LXSY auf einen Großteil bereits vorhandener Bauteile und Materialen zurück. Das Neue Maxim Kino von Meierei Innenarchitekten München konnte durch den Einsatz gebrauchter Möbel das Budget klein halten und den Charme des Ortes erhalten und weiterentwickeln.

Neue Ästhetik wagen

Durch das Verwenden gebrauchter Dinge und der Notwendigkeit, anders an die Gestaltung der Räume heranzugehen, entsteht zwangsläufig eine neue Ästhetik. Durch "handwerkliches Heilen", wie Sven Urselmann es nennt, sprich das Ausbessern von Fehlstellen, entsteht ein Ergebnis, das nicht immer perfekt ist. Oberflächen und Möbel erzählen eine Geschichte. In Japan würde man von Wabi-Sabi sprechen, einer Ästhetik von nicht perfekten, ausgebesserten und unvollendeten Dingen. Bescheiden und unkonventionell. Aber auch praktische Themen wie wieder lösbare Verbindungen wie Schrauben und Stecken lassen einen neuen Look entstehen. Generell muss man den cleanen und "effortless" Look der nicht sichtbaren Verbindungen hinterfragen. Denn sie generieren das Gegenteil von wenig Aufwand. Zudem würde man sich mit dem Verkleben von Bauteilen die Möglichkeit, diese in Zukunft anders zu verwenden und wieder zu verwerten, im wörtlichen Sinne verbauen. Das auch durch das Vorhandensein von Baustoffen und Bauteilen, welche nicht beliebig Form- und gestaltbar sind, kann eine neue "andere" Ästhetik entstehen. Diese Art der Ästhetik ist auch bei dem Projekt "ELYS Kultur- & Gewerbehaus" in Basel entstanden. Das Baubüro in situ musste hier hunderte zwar neuwertige, aber unterschiedliche Fenster in eine Fassade integrieren.

Kreislauffähigkeit für die Zukunft vorsehen

Um eine wie auch immer geartete zukünftige Wiedernutzung neuer oder bereits gebrauchter Materialien zu ermöglichen, bedarf es der entsprechenden Verwendung dieser. Zum einen ist das die bereits erwähnte Rückbaubarkeit, das heißt Materialien, Elemente und Bauteile müssen, ohne Müll zu erzeugen, in ihre Einzelteile zurückgeführt werden können, z.B. nach dem Prinzip "cradle to cradle". Sie sind zwar praktisch im Einbau und werden daher im Bau gerne verwendet, haben aber den großen Nachteil, oft als Sondermüll auf den Deponien zu landen. Zum anderen muss man aber auch andere Verwendungen der Teile in Zukunft ermöglichen. Hier bedarf es einiger Kreativität auch beim zukünftigen Nutzer. Aber prinzipiell sollte einer neuen Nutzung stets ein Weg offengehalten werden.

Engagierte Innenarchitektinnen und Architektinnen zeigen zusammen mit Organisationen und Gruppen wie CONCULAR und anderen Bauteilbörsen, dass zirkuläres Bauen möglich ist. Vielleicht gelingt es ihnen nicht immer gleich, das 0-Emissionen-Ziel zu erreichen, aber sie beweisen, dass mit Kreativität und Kommunikation schon vieles möglich ist.

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Autor: Hannes Siefert

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