01.05.2024

05/2024 Modernisierung und Vernetzung von Einfamilienhäusern auf Quartiersebene

Klimaschutz

Luftbildaufnahme einer Wohnsiedlung im Grünen

Foto: wetdronedreams from Pixabay

"Innovation ist die Fähigkeit, Veränderung als Chance und nicht als Bedrohung anzusehen."

Steve Jobs

 

Wohngebiete sind vielerorts geprägt durch ihre Bebauung mit Einfamilien-, Doppel- oder Reihenhäusern. Sehr häufig wurden diese Siedlungen in der Zeit zwischen den 1950er- und 1970er-Jahren errichtet. In Bayern ist die Baualtersklasse 1949–1978 mit einem Anteil von 43,8% bei Wohngebäuden über dem Bundesdurchschnitt vertreten (StMAS 2022).

Diese vielfach liebevoll gepflegten Wohngebäude repräsentieren jedoch bautechnisch den Zeitgeist vergangener Tage. So wurden diese aufgrund ihres Baujahrs vor dem Inkrafttreten verbindlicher Wärmeschutzvorschriften errichtet. Die Wärmeschutzverordnung, die 1977 als Reaktion auf die erste Ölkrise (1973) in Kraft trat und zweimal novelliert wurde, betrifft in erster Linie die Baualtersklassen ab 1979. Doch auch deren bautechnische Standards sind, verglichen mit heutigen Anforderungen, nur unzureichend. So lag 1977 der zu unterschreitende mittlere Wärmedurchgangskoeffizient für Außenwände einschließlich Außenfenster/-türen bei 1,85 W/m²K (WärmeschutzV 1977). Moderne Anforderungen sehen alleine für die Außenwände einen U-Wert von 0,28 W/m²K vor (GEG Referenzgebäude, Neubau), Fenster in Passivhausqualität unterschreiten Werte von 0,8 W/m²K.

Synergien bei der Bestandssanierung

Die Notwendigkeit, für einen effektiven Klimaschutz die Energieeffizienz im Gebäudebereich drastisch zu erhöhen, aber auch um die zunehmenden Folgen des Klimawandels zu bewältigen, setzt diese häufig verbreitete Bestandstypologie zunehmend unter Druck. Arbeiten von Zuhause, Aspekte der Generationengerechtigkeit oder Barrierefreiheit verändern zudem die Ansprüche an Wohngebäude im Allgemeinen. Eine vollständige Modernisierung einschließlich Grundrissoptimierung stellt jedoch für einige Hauseigentümer und -eigentümerinnen eine unüberwindbar hohe Kostenbelastung dar.

Hier bietet sich eine schrittweise Modernisierung mit individuellem Sanierungsfahrplan (iSFP) an, die es ermöglicht Modernisierungsmaßnahmen in abgestimmten Einzelschritten durchzuführen. Ein zentrales Element ist die Reduktion der Wärmebedarfe durch Ertüchtigung der Gebäudehülle, die als vorrangige Maßnahme vor einem Austausch der Heizanlage erfolgen sollte. 

Insbesondere bei Typensiedlungen, die in den 1960er- und 1970er-Jahren häufig errichtet wurden, kann eine Modernisierungsplanung auf Quartiersebene zahlreiche Synergien erzeugen, da diese Gebäude vom Entwurf, der Konstruktion und der ursprünglichen Anlagentechnik praktisch identisch sind. Eine gebäudeübergreifende Planung und Ausführung im Quartier kann so helfen, unnötige Kosten zu sparen und die Qualität der Baumaßnahme durch die Beauftragung von erfahrenen Architekturbüros zu erhöhen. Es können so sinnvolle Modernisierungsbausteine entwickelt werden, die als modulare Stufenplanungen die schrittweise Ertüchtigung von Dächern, Fassaden, Außenfenstern/-türen sowie Wärmebrückenoptimierungen beinhalten. Klimaanpassungsmaßnahmen am Gebäude (Dach-/Fassadenbegrünung, Regenwassermanagement/Grauwasserkonzepte etc.) sowie in der Freiflächengestaltung (Versickerungs-/Speicherfähigkeit, schattenspendende Großbäume, Biodiversität uvm.) lassen sich auf diese Weise ebenfalls integriert umsetzen.

Vorteil Vernetzung

Die notwendige Ertüchtigung der Heiztechnik kann auch bei nicht typisierten Siedlungen durch eine Vernetzung der Einzelgebäude zu einem Wärme- bzw. Energieverbund erfolgen. Diese Energienetze bieten den Vorteil, erneuerbare Energiequellen (z.B. Sonne, Geothermie, Wind-, Wasserkraft) zu bündeln und auch sektorenübergreifende Lösungen (Wärme, Kälte, Strom) zu realisieren.

Insbesondere Wärmenetze bieten entscheidende Vorteile durch eine effiziente Wärmebereitstellung, Reduktion des Platzbedarfs in den Gebäuden (Brennstofflager oder großdimensionierte Erzeuger entfallen) und die Nutzung von lokalen Wärmequellen (Solarthermie, Geothermie, Abwärme usw.). Hier zirkuliert ein Medium (z.B. Wasser, Sole o.Ä.) in einem Rohrnetz, das durch einen zentralen oder mehrere dezentrale Wärmeerzeuger (z.B. Geo-, Solarthermie, BHKW, Heizwerk, Abwärme etc.) erwärmt und den angeschlossenen Wohngebäuden durch eine Übergabestation zur Verfügung gestellt wird. Pufferspeicher oder zusätzliche Spitzelasterzeuger helfen die Betriebssicherheit zu erhöhen.

Abhängig von der Betriebstemperatur werden heiße und kalte (Nah-)wärmenetze unterschieden. Bei Letzteren zirkuliert das Medium auf einem Temperaturniveau von etwa 20°C und die notwendige Wärmebereitstellung (z.B. für Warmwasser) erfolgt in den angeschlossenen Gebäuden mittels kleiner Wärmepumpen (Wohnungsstationen), die z.B. mit PV-Strom versorgt werden. Schlüssel ist auch hier ein hoher Effizienzstandard der Einzelgebäude, um diese Netze effizient betreiben zu können. Kalte Wärmenetze ermöglichen zudem eine sommerliche Kühlung.

Aus wirtschaftlichen Gründen sollte, vor allem bei Hochtemperaturnetzen, ein Großabnehmer (z.B. Gewerbebetrieb) für die notwendige Auslastung sorgen. Beispielsweise versorgt in Illschwang (Oberpfalz) ein Hotel durch seine Holzhackschnitzelanlage über ein privates lokales Wärmenetz mehrere Wohngebiete mit derzeit über 60 Bestands- und Neubauten (Links zu Videos über das Projekt: Link 1, Link 2, Link 3).

In Meitingen (Schwaben) wird durch die kostenlose Bereitstellung der Abwärme eines Industriebetriebs ein kaltes Wärmenetz betrieben, das ein Neubaugebiet mit 125 Wohneinheiten versorgt (Link zum Projekt). Weitere Beispielprojekte sind über die Datenbank Energieatlas Bayern abrufbar.

Ein mit erneuerbaren Energien betriebenes privates Wärmenetz ist auch vor dem Hintergrund der kommunalen Wärmeplanung (Kommunen bis 100.000 EW müssen bis Ende Juni 2026/unter 100.000 EW bis Ende Juni 2028 eine Wärmeplanung erstellen, siehe BEN-Blog 11/2023) ein sinnvoller Schritt, da auch bei der Erneuerung von Heizanlagen im Bestand ab 2029 ein zunehmender Anteil an erneuerbaren Energien verbindlich wird. Eine Vernetzung hilft hier sinnvolle und langfristige Lösungen von privater Seite zu etablieren, die von der Kommune im Rahmen der Wärmeplanung auch entsprechend berücksichtigt werden. Private Wärmenetze können zudem von der BAFA gefördert werden. Dies ist abhängig von der Rechtsform der Betreiber (z.B. Genossenschaft) möglich.

Über die technischen und prozessualen Anforderungen bei der Umsetzung von Wärmenetzen in Kommunen informiert der Leitfaden Wärmenetze in Kommunen des Bayerischen Landesamts für Umwelt.

Abschließend soll in diesem Zusammenhang auf die Verantwortung und Mitwirkungsbereitschaft privater Gebäudeeigentümer- und eigentümerinnen bei der Energiewende hingewiesen werden. In Bayern beträgt der Anteil selbstgenutzten Wohneigentums 51,4% (StMAS 2022). Nur im gemeinsamen Dialog aller Beteiligten lassen sich zielführende Maßnahmen finden, um das Bayerische Ziel der Klimaneutralität bis 2040 zu ermöglichen.

 

Sie haben Fragen zu diesen Themen?

Lassen Sie sich kostenfrei beraten bei der Beratungsstelle Energieeffizienz und Nachhaltigkeit der Bayerischen Architektenkammer!
ben@byak.de; Tel.: 089 139880 88; www.byak-ben.de

 

Literaturquellen

  • GEG (2023) Gebäudeenergiegesetz, BGBl. 2023 I Nr. 280
  • StMAS (2022) Fünfter Bericht der Bayerischen Staatsregierung zur sozialen Lage in Bayern
  • WärmeschutzV (1977) Verordnung über einen energiesparenden Wärmeschutz bei Gebäuden (Wärmeschutzverordnung – WärmeschutzV 1977) vom 11. August 1977, Bundesgesetzblatt Jahrgang 1977, Teil I

Autor: Gero Suhner

Abbildungen

Abbildung 1: Typensiedlung der 1960er- und 1970er-Jahre

Abbildung 1: Typensiedlung der 1960er- und 1970er-Jahre

Foto: by Andreas Göllner from Pixabay
Abbildung 2: Modernisieren und vernetzen: Stufenplanung im Quartier ermöglicht modulare Umsetzung

Abbildung 2: Modernisieren und vernetzen: Stufenplanung im Quartier ermöglicht modulare Umsetzung

Skizze: Gero Suhner

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